Isabelle Bodenseh Interview

Isabelle Bodenseh Interview

Isabelle Bodenseh und ich kennen uns schon seit einigen Jahren und wir stehen hin und wieder immer mal in Kontakt. Die letzte große Reportage war über ein Konzert im Jazzclub „Armen Konrad“ in Beutelsbach im Jahr 2018. Damals erschien gerade das erste Album „Mr Bro Cookbook Jazz ala Flute“ Den Artikel könnt ihr hier lesen:

https://www.jazzreporter.com/2018/01/28/isabelle-bodenseh-lorenzo-petrocca-jazz-%C3%A0-la-flute-present-mrs-bo-s-cookbook-in-beutelsbach/

 

Seitdem hat sich die Musikwelt radikal verändert, aber Isabelle hat trotzdem das Album „Flowing Mind“ herausgebracht, welches in Corona-Zeiten entstanden ist. Es ist wie immer ein sehr abwechslungsreiches Album, welches verschiedene Stile abdeckt. Mehr über das Album könnte ihr hier erfahren.

 

https://www.glm.de/produkt/isabelle-bodenseh-flowing-mind/

 

Mehr zu Isabelle Bodenseh und ihren vielseitigen Projekten könnt ihr hier Lesen:

https://www.isabellebodenseh.de/

 

Aber jetzt genießt das Interview mit Isabelle Bodenseh über das Album und andere Themen. Das Interview haben wir im Februar 2023 geführt.

Jazzreporter: Hallo Isabelle, schön, dass du wieder Zeit hast für jazzreporter.com

 

Das letzte Mal sahen wir uns im Jahr 2018, da kam gerade das Album „Jazz A la Flute“ Mrs Bo´s Cookbook raus. Keiner konnte damals ahnen, was auf uns zukommen sollte. Kam dir schon damals die Idee zu deinem neuen Album Flowing Mind?

 

Isabelle Bodenseh: Ich freue mich, dass wir uns mal wieder sprechen!

Gerne spinne ich die Geschichte von 2018 nun weiter...

Mitten in der Pandemie erschien bei meinem Label GLM im September 2020 zunächst noch mein gut rezensiertes Duo-Album ESSENZA mit Lorenzo Petrocca an der Gitarre.

Parallel dazu hatte ich genug Zeit frische Ideen mit meinem Hammond-Orgel Trio weiterzuentwickeln.

Als die ersten neuen Kompositionen für Flowing Mind entstanden, habe ich GLM, mit denen ich sehr gerne zusammenarbeite, gleich vorgeschlagen ein neues Quartett-Album rauszubringen.

 

Jazzreporter: Deine Band hieß damals „Jazz A la Flute“ bei deinem neuen Album steht nur noch dein Name Isabelle Bodenseh. Woher kam der Wechsel?

 

Isabelle Bodenseh: Ich habe den Namen „JAZZ À LA FLUTE“ ein paar Jahre "beobachtet" und bin von meiner ursprünglichen Idee, JAZZ À LA FLUTE als Plattform zu begreifen, abgekommen.

Darin vereint sah ich damals meine künstlerischen JAZZ À LA FLUTE Projekte und meine JAZZ À LA FLUTE Academy für Improvisation, die ich seit 3 1/2 Jahren leite.

Ich wollte nach ein paar Jahren für mehr Klarheit sorgen und ich wollte auch, dass mein Name als Flötistin in den Vordergrund rückt, da ich mich insgesamt weiterentwickelt habe.

 

 

Jazzreporter: Rein musikalisch ähneln sich die beiden Alben sehr mal Bossa, Swing oder auch eine schöne Ballade. Auf deinem neuen Album finden sich aber keine Standards, sondern Eigenkompositionen von dir und deinen Musikern. Warum bist du den Standards untreu geworden?

 

Isabelle Bodenseh: Schon auf dem ersten Quartett-Album waren immerhin 6 Eigenkompositionen von mir und von der Band. Sagen wir mal so, ich habe immer mehr gemerkt, dass mir das Komponieren ziemlich Spaß macht und in der Pandemiezeit sind mir einige Stücke regelrecht aus den Fingern geflossen.

Eigene Musik gibt von mir viel mehr preis und ich erzähle dem Publikum auch gerne etwas dazu.

Auch die Band hat weitere eigene Stücke hinzugesteuert.

Geprobt haben wir teilweise im Wohnzimmer von Fans, weil es zeitweise keine legalen Probemöglichkeiten gab!

 

Jazzreporter: Zu deinem Titelstück hast du sogar ein aufwendiges Video produziert. Woher kam dir die Idee dazu?

 

Isabelle Bodenseh: Flowing Mind ist für mich persönlich der seelische Dreh- und Angelpunkt des Albums!

Auf einer der selten stattfindenden Autofahrten zu einem Auftritt Anfang 2021 wurde mir klar, wie sehr mir nicht nur die Konzerte, sondern vor allem auch die langen Fahrten dorthin fehlten.

Das Dahingleiten auf Straßen an vorbeiziehenden Landschaften ist herrlich beruhigend.

Man hat Zeit nachzudenken, kreative Ideen blubbern nach oben und ich liebe dieses Gefühl von Freiheit beim Fahren.

Da hat man einen „flowing mind“!

Mir war schnell klar, dass es ein Video geben muss, um die Stimmung in Bildern festzuhalten. Dafür habe ich eine kürzere Variante mit Streichern im Studio aufgenommen.

Zunächst wollte ich den "flowing mind" mit Drohne an einem Strand umsetzen, aber dann hatte ich die tausendmal bessere Idee in meiner Heimat auf der Steilwand Rotenfels bei Bad Kreuznach zu drehen. Ich denke ich würde mich heute nicht mehr so waghalsig mit wehendem Tuch an die Abgründe stellen. Es war das reinste Abenteuer und ich dachte ein paarmal:

"Um Himmels Willen Isabelle, was machst Du da bloß!"

Das Resultat vermittelt aber auf jeden Fall die Stimmung, die ich mit dem Stück verbinde.

 

Jazzreporter: Welchen Einfluss hatte die Corona-Krise auf die Entstehung dieses Albums?

 

Isabelle Bodenseh: Titel wie „ConFluting“ sind definitiv Folge der Pandemie, abgeleitet von "confusing". Das Stück hat meine innere Unruhe im Lockdown eingefangen. Aber natürlich hat diese Krise auch ganz andere Dinge nach sich gezogen.

Ich bin in eine starke Selbstreflektion gegangen, habe alle Parameter meines Musikbusiness neu sortiert und geschärft für die Zukunft.

Heute sehe ich mich klar als Produzentin, Komponistin und als Arbeitgeberin meiner Band und freue mich auf die Zukunft.

Das hat natürlich Auswirkungen auf die ganze Arbeitsweise. Die vielen „Pandemie“-Anträge erforderten, dass man sehr genau weiß, warum und wie man arbeitet.

Ganz besonders vorwärts gebracht hat mich die Förderung der INITIATIVE MUSIK! Danke an dieser Stelle!

Da ich auf einmal andere finanzielle Möglichkeiten hatte, konnte ich zum Beispiel im tollen Hansahaus Studio bei Klaus Genuit aufnehmen und diesmal mit Tiefgang und Zeit nach genau meinen Klangvorstellungen mischen. Ein Luxus!

Die zwei Videos Flowing Mind und ConFluting wurden nach meinen Ideen gedreht; ich konnte viel professioneller in meinem Musikbusiness vorgehen.

Das hat mich in ein anderes Universum katapultiert.

Das Album hat für mich neue Maßstäbe in der Klangkultur gesetzt, vor allem die Stücke mit Bassquerflöte. Ich liebe den warmen Sound des Instruments, das muss man einfach gehört haben.

Ich bin sehr glücklich mit dem Album, es bildet einen echten Höhepunkt in meinem Leben!

 

 

Jazzreporter: Was ist deine Meinung nach der Forderung einer einheitlichen Mindestgage?

 

Isabelle Bodenseh:  Das wäre der richtige Weg!

Die Mindestgage von immerhin 180€ in vielen Clubs von Baden-Württemberg ist sicher ein guter Anfang, hilft ehrlicherweise aber nur bedingt, wenn man davon noch 180€ Fahrtkosten und Hotel abziehen muss.

Es sollte, das wäre ein mögliches Modell, überall eine Mindestfestgage von 250€ pro Musiker geben, bei Break-Even noch was on top plus Fahrt und Hotel.

Aber mal ganz ehrlich, selbst davon kann man am Ende des Jahres eine Familie nicht ernähren.

Dieses Jahr spiele ich einige Auftritte leider unter meinen persönlich gesetzten Vorgaben, habe aber eine Sponsorin finden können, die uns bei ein paar Auftritten finanziell unterstützt.

 

Jazzreporter: Lässt diese Forderung die Tatsache nicht außer Acht, dass viele Jazzclubs von ehrenamtlichen Vereinen betrieben werden?

 

Isabelle Bodenseh: Natürlich kann genau deswegen nicht das Gagenproblem allein auf deren Rücken ausgetragen werden!

Viele sind Idealist:innen, sehr bemüht und investieren viel Zeit, um die Konzerte voll zu bekommen.

Der Jazz ist aber irgendwie noch immer eine Subkultur.

Dabei ist er mit seinen freiheitlichen Ansätzen absolut wichtig für die Weiterentwicklung der Gesellschaft, die heutzutage nur noch aus Paragrafen und Sicherheitsvorschriften zu bestehen scheint.

Jazz und Improvisation lässt nachdenken, eigene Wege und differenzierte Sprache finden, das ist absolut wichtig für die Zukunft!

 

Jazzreporter: Was müsste der Staat konkret tun, um die Lebenssituation vieler Künstler zu verbessern?

 

Isabelle Bodenseh: Es wäre erstmal essenziell wichtig, dass Klassik und Jazz gleichberechtigt gefördert werden.

Da ich aus der Klassik komme und Orchestermusik studiert habe, darf ich mir da den ein oder anderen Kommentar sicher leisten.

Hätten Klassiker nicht ihre stark subventionierten Theater-, Kultur- und Opernhäuser, sähe es in der Branche auch viel düsterer aus mit dem Einkommen.

Ich finde, dass da, wo Veranstalter anständig und professionell Kultur fördern, auch staatlich unterstützt werden muss, damit die Künstler:innen ordentlich bezahlt werden.

 

Jazzreporter: Was sind deine nächsten Pläne mit deinem Jazz-Quartett?

 

Isabelle Bodenseh: Jetzt spielen wir erstmal eine schöne Tour, genießen die neugewonnene Freiheit und lassen alles auf uns zukommen.

Mit einer Normalisierung des Marktes rechne ich erst ab Ende 2024, da muss man sich noch ein bisschen lockermachen und es ist fraglich, wie die „Neue Normalität“ in ein paar Jahren in der Kulturbranche aussehen wird.

Wenn wir Lust zum Komponieren und Arrangieren haben steht der Umsetzung im neuen Probekeller unseres Hammond Orgel Spieler Thomas Bauser sowas von nichts im Weg. Wir haben immer viel Spaß beim Spielen und Proben. Eine tolle Band!

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Jürgen (Donnerstag, 02 März 2023 21:56)

    Hallo Aleksej,
    Wieder einmal ein spannendes und interessantes Interview. Ich mache zwar einen Bogen um Flöten im Jazz, war aber von dem weichen Sound der Bassflöte angetan.
    Erschreckend fand ich ihre Aussagen über die Gehälter für Jazzmusiker; von 180 bis 250€ brutto kann doch niemand leben. Traurig, wenn man die Gehälter von Klassikmusikern (selbst Orchestermusikern) damit vergleicht!
    VG aus dem fernen La Paz