Claus Raible Interview

Claus Raible Interview

Im Januar 2020, als es noch Live-Konzerte gab, habe ich das Claus Raible Trio in der ausverkauften Münchner Unterfahrt gesehen. Sie stellten dabei auch ihre aktuelle CD „Trio!“ vor,  erschienen auf Alessa Records. Die Musik strotzt vor Virtuosität und Spielfreude. Die CD könnt ihr hier erwerben:

 

https://www.amazon.com/Trio-Claus-Raible/dp/B0824949PX

 

Claus Raible wurde im Jahr 1967 in Karlsruhe geboren und wuchs in München auf. Er begann zunächst mit 11 Jahren, Trompete zu spielen, drei Jahre später kam das Klavier hinzu. In den Jahren 1986 bis 1992 studierte er an der Hochschule für darstellende Kunst in Graz. Bereits in dieser Zeit spielte er mit Jazz-Größen wie Art Farmer, Andy Bey oder Mark Murphy. Danach lebte Claus Raible in Wien und spielte sein erstes Solokonzert „Claus Raible plays the Music of Bud Powell“. Zwischen 1995 und 1998 lebte Claus Raible in New York, wo er auch Unterricht beim Pianisten Barry Harris nahm.

 

Er lebt seit 1998 in München und ist in zahlreichen musikalischen Projekten tätig. Hervorzuheben sind, neben seiner Tätigkeit als Leiter seines Trios und Tentetts, seine vielfältigen Kollaborationen mit dem Saxofonisten Brad Leali, mit der Sängerin Anna Lauvergnac, sowie sein Tribute an den großen Pianisten und Komponisten Elmo Hope. Claus Raible hat unter anderem mit Jimmy Cobb, Charles Davis, Jesse Davis,  Ben Dixon, Herb Geller, Benny Golson, Dennis Irvin, Lewis Nash, Ed Thigpen und Charles Tolliver zusammengearbeitet, um nur einige zu nennen.

 

Mehr Infos findet ihr hier:

 

http://www.clausraible.com/samples-1.htm.

 

Ich hatte die Möglichkeiten, mich mit Claus Raible per Mail über seine Musik und diverse Themen auszutauschen.

© Jan Scheffner, München// Claus Raible / 2019
© Jan Scheffner, München// Claus Raible / 2019

Jazzreporter- Wie kamst du zum Jazz?

 

Claus Raible: Jazz war bei uns zuhause nicht präsent. Ich habe den Jazz in jungen Jahren, gegen Ende meiner Grundschulzeit, durch das Radio entdeckt. Die Musik hat mich sofort völlig in ihren Bann gezogen. Die ersten Stücke, an die ich mich erinnern kann, waren „Ridin‘ On A Blue Note“, Duke Ellington, und „Miss Thing“, Count Basie. Das waren zunächst Programme auf dem BR, dann entdeckte ich bald „The Voice Of America Jazz Hour“ mit Willis Conover, die täglich in die ganze Welt ausgestrahlt wurde.

 

JP- Wie war die Jazzwelt, als du mit dem Spielen angefangen hast?

 

CR: Das war eine sehr aufregende und intensive Zeit für mich, voller Passion und Enthusiasmus, es gab so viel zu erkunden. Jazz war in den 1980er Jahren in den Mainstream-Medien völlig unterrepräsentiert und das Internet war noch in weiter Ferne. Das heißt, man musste nach der Musik suchen, aber dadurch war jede Schallplatte, jede Radiosendung, jede Entdeckung  von ungeheurem Wert.

 

Öffentliche Jam-Sessions, bei denen man sich bewähren konnte, waren ein wichtiger Bestandteil der Szene. Dort einzusteigen, war für uns Youngsters eine große Sache, denn die Sessions wurden von etablierten Musikern geleitet und überwiegende Mehrheit der Einsteiger waren Profis. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass man ein Standardrepertoire auswendig beherrschte und nicht etwa mit einem Realbook auf der Bühne erschien. Zudem standen Selbstvermarktung und exzessives Netzwerken nicht im Vordergrund. Wer spielen konnte, bekam auch Gigs. Ein Plattenvertrag war noch etwas sehr Besonderes und konnte eine Karriere versprechen.

 

New York war natürlich das Maß und das Zentrum des Jazz. So reifte in mir der Wunsch, irgendwann in die USA zu gehen.

 

JP- Bitte nenne drei Jazzplatten, die dich nachhaltig geprägt haben?

 

CR: The Amazing Bud Powell. The Fabulous Fats Navarro. Genius of Modern Music, Thelonious Monk.

 

JP- Wer waren deine ersten Vorbilder?

 

CR: Am Klavier zunächst Meade „Lux“ Lewis, Jimmy Yancey. Dann James P. Johnson, Willie Smith. Bald darauf Art Tatum, wenn man das überhaupt so sagen kann. Und dann in Folge die Modernisten und Avantgardisten, inkl. Cecil Taylor. Und Mary Lou Williams, sie war ja in allen Stilen präsent. Duke Ellington.

 

JP- Wie kam es dazu, dass du schon mit jungen Jahren mit Leuten wie Art Farmer oder Mark Murphy aufgetreten bist?

 

CR: Dies kam teilweise im Zusammenhang mit meinem Studium zustande. Das trifft jedenfalls für Mark Murphy und Andy Bey zu, die als Gastdozenten im gerade neu gegründeten Vocal-Programm an der Jazzabteilung der Hochschule in Graz tätig waren.

 

JP- Wie waren diese Legenden so im persönlichen Umgang mit dir?

 

CR: Alle waren ausnahmslos großartig und sehr unterstützend, selbst die bekanntermaßen schwierigeren Charaktere. Das lag wohl auch daran, dass es mich immer dazu drängte, mit den Großen der Musik aufzutreten und von ihnen zu lernen und ich deshalb keinerlei Problem hatte, mein Ego hinten anzustellen. Daher war ich für lange Zeit der Jüngste in fast allen Formationen. Vielleicht erkannten sie auch ganz einfach etwas in mir.

 

JP- Wie kam es dazu, dass du nach New York gezogen bist?

 

CR: Nach meiner Studienzeit lebte ich noch für kurze Zeit in Wien. Dann wurde mir sehr bald bewusst, dass ich tatsächlich nach N.Y. würde gehen müssen. Denn das, was ich in der Musik suchte, war einzig dort in dieser Authentizität und Intensität zu finden. Ich wollte die Tiefe und die ureigenste Sprache des Jazz hautnah und ungefiltert ergründen.

 

Jazz ist der Ausdruck der Afro-Amerikanischen Kultur und er ist der amerikanische Beitrag zur Weltkultur. Das bedeutet, um ein Bild zu verwenden: wenn man eine Sprache sprechen will, sollte man dahin gehen, wo sie gesprochen wird.

 

JP- Wurdest du dort mit offenen Armen empfangen?

 

CR: Niemand wird in New York mit offenen Armen empfangen, es sei denn man bringt einen großen Sack mit Dollarnoten. Es ist auch nicht der richtige Ort, um sich mal etwas auszuprobieren, außer man geht dort zum Studium hin. Nach New York geht man, wenn man schon spielen kann, sonst ist es sinnlos. Jedenfalls war dies noch bis in die 1990er Jahre so. Aber das hat sich auch geändert, mittlerweile werden selbst dort viele Sessions von Kids bestritten und dementsprechend ist das Niveau abgestürzt.

 

Auf alle Fälle war es damals für mich die beste Entscheidung, nach New York zu gehen und ich hatte schließlich die Gelegenheit, mit vielen großartigen Musikern aufzutreten. Außerdem gründete ich dort mein Sextett, mit dem wir auch später in Europa tourten. Es war eine ungemein wichtige und prägende Zeit für mich.

 

JP- Welchen Einfluss hatte der große Pianist Dr. Barry Harris auf dein Spiel?

 

CR: Von ihm bekam ich genau das, wonach ich suchte und wo ich beim Lernen nach Aufnahmen ans Limit kam. Barry hat den „Magic Touch“, schon alleine ein einfacher Dreiklang klingt bei ihm besonders. Ich bin fast gewillt, um ein viel strapaziertes Wort unserer Tage zu verwenden, Barry Harris als genial zu betrachten.

© Jan Scheffner, München// Claus Raible / 2019
© Jan Scheffner, München// Claus Raible / 2019

JP- Du bist Ende der 90er Jahre nach München zurückgegangen. Wie war die damalige Jazzszene in München?

 

CR: Eigentlich nicht grundlegend anders, als ich sie zehn Jahre zuvor verlassen hatte. Außer, dass es jetzt weniger Clubs gab.

 

JP- Du hast bei Alessa Records aufgenommen. Wie kam die Zusammenarbeit mit Alessa Records zustande?

 

CR: Ich kam mit Peter Guschelbauer durch Anna Lauvergnac in Kontakt. Sie hat ihre letzten Produktionen, bei denen ich auch mitwirken durfte, für Alessa gemacht.

 

JP- Du tourst regelmäßig mit Anna Lauvergnac – was schätzt du an ihr?

 

CR: Über ihre wunderbaren Qualitäten als Sängerin hinaus hat Anna die Fähigkeit, direkt über die Musik eine starke Verbindung mit dem Publikum herzustellen, etwas zu transportieren. Sie hat dabei eine natürliche Art zu kommunizieren. Das ist eine wichtige und seltene Fähigkeit. Und sie ist eine Persönlichkeit und hat einen starken Ausdruck.

 

JP- Wie würdest du den Alltag eines Jazzmusikers bezeichnen?

 

CR: Arbeiten, essen, schlafen, Rechnungen und Steuern zahlen. So wie bei allen anderen auch, nur vielleicht in einer anderen chronologischen Reihenfolge.

 

JP- Würdest du die deutsche Jazzszene als vielfältig bezeichnen?

 

Zumindest vielfältig, ja.

 

JP- Welche Eigenschaften muss ein guter Pianist haben?

 

CR: Alles: einen guten Sound. Einen guten Rhythmus, Timing und Phrasierung. Er muss melodisch empfinden und improvisieren können. Er braucht ein umfassendes harmonisches Wissen. Er muss ein guter Begleiter sein. Er muss in der Lage sein, ad hoc eine Einleitung zu kreieren, den musikalischen Lauf zu steuern und einen Schluss zu bestimmen, ist also gewissermaßen ein Impromptu-Arrangeur. Und er braucht guten Geschmack. Und er muss die Jazz-spezifische Sprache sprechen. Das meiste davon gilt aber auch für alle anderen Instrumentalisten und Vokalisten.

 

JP- Wie kam deine Hommage an Elmo Hope zu Stande?

 

CR: Ich war schon immer ein großer Bewunderer der Musik von Elmo Hope. Als ich in New York Bertha Hope kennen lernte, drückte sie mir gegenüber ihre Enttäuschung darüber aus, dass fast niemand Elmos Musik spielt. Und so fasste ich den Entschluss, ein Programm mit Kompositionen von Elmo Hope zusammenzustellen.

 

JP- Hat der klassische Trio Jazz noch eine Zukunft?

 

CR: Absolut. Wobei, die klassische Trio-Besetzung im Jazz bedeutet: Klavier, Gitarre, Bass. Ich persönlich bevorzuge allerdings die Modern-Jazz-Instrumentierung mit Klavier, Bass und Schlagzeug.

 

JP- Der Streaming-Markt soll in ein paar Jahren fast 75 Prozent des Musikmarktes ausmachen, welche Probleme siehst du auf die Musiker zukommen?

 

CR: Was das Live-Streaming betrifft, so sehe unsere Musik nicht ohne präsente Hörer. Ich würde sogar sagen, der Austausch mit dem Publikum ist ein integrativer, elementarer Bestandteil. Ich möchte es aber auch nicht weiter werten oder verurteilen, wenn jemand streamt. Jedoch, im besten Falle werden die Leute des Streamings bald überdrüssig und wünschen sich wieder ein echtes Live-Musik-Erlebnis, natürlich vorausgesetzt, die äußeren Umstände lassen das zu. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand von ein paar Cent durch Streaming ein Einkommen generieren kann.

 

Was nun die Vielzahl der Streaming-Plattformen betrifft, möchte ich an dieser Stelle einmal ins Bewusstsein rufen, dass wir als kreative, Musik produzierende Künstler, einige Millionen Streams benötigen, um auf ein paar EUR zu kommen. Andere verdienen durchaus damit, der Musikmarkt ist ja milliardenschwer, aber eben nicht notwendigerweise die Musiker. Nun ist das ja kein neues Phänomen, sondern begleitet uns nun schon über hundert Jahre, seit dem Beginn der kommerziellen Audioaufnahmen. Allerdings hat sich mittlerweile dieses Unverhältnis nochmal extrem zu unseren Ungunsten verschärft. Diese Entwicklung begann sich eigentlich aber schon abzuzeichnen, seitdem die vergleichsweise billig zu produzierenden Audio CD in den 1990er Jahren die LP verdrängt hat.

 

JP- Im Herbst gab es eine Tour mit einem Blue-Note-Programm: Jazz Animals Tribute to Blue Note Records. Findest du solche Tribute-Projekte gut?

 

CR: Ich habe diese Show nicht gesehen, aber wenn sie gut gemacht ist, dann ist alles gut. Das ist Business.

 

JP- Ich habe dich im Januar in der Unterfahrt gesehen bei vollem Haus. Jazz scheint nach wie vor sehr beliebt zu sein?

 

CR: Tatsächlich sind unsere Konzerte bestens besucht und meistens ausverkauft. Das ist natürlich hoch erfreulich, um so mehr, als dass ich mich ja weit ab, um nicht zu sagen diametral des aktuell modischen Mainstream-Marktes bewege. Dennoch, Jazz war nie die Musik der breiten Masse und wird es wohl auch nicht werden. Das ist auch gut so.

 

JP- Wie wird sich das Jazzbusiness nach der Corona-Krise verändern?

 

CR: Vieles an vorhandenen Strömungen und Tendenzen wird jetzt beschleunigt, wie z.B. das Live Streaming, von dem wir gerade schon gesprochen haben. Die sozialen Netzwerke sind voll von Heimvideos, auf denen sich Musiker beim Üben präsentieren oder in Grüppchen gesellig musizierend. Das ist an sich nett, kann aber durchaus die ohnehin schon völlig verzerrte kollektive Wahrnehmung von Musik als eher schrullige Nebenbeschäftigung denn als vollwertiger Beruf verstärken. Des Weiteren finden sich im Netz mittlerweile zahllose Angebote an Online-Unterricht und Workshops von Leuten, die nicht immer künstlerische Qualifikationen oder inhaltliche Referenzen vorweisen können. Und für den Dilettant oder Student ist der Unterschied von Qualität und Ramsch sicherlich nicht immer leicht zu erkennen.

 

Es bleibt jedoch zu hoffen, dass zumindest einige dieser inflationären Erscheinungsformen sich irgendwann bald wieder verlaufen werden. Tatsächlich ist aber vieles überhaupt noch nicht abzusehen und hängt letztendlich schlicht von der Dauer der Krise ab.

 

JP- Planst du, mal eine Vinyl-Platte zu machen?

 

CR: Das wäre natürlich schön, ist aber momentan nicht vorrangig für mich. Vinyl ist heute zwar eher etwas für Hi-Fi Freaks, aber der Markt ist vorhanden. Warum also nicht.

 

JP- Was sind deine nächsten Projekte?

 

CR: Ich werde das Trio weiterführen, das ist mir sehr wichtig. Und dann möchte ich mich nochmal wieder größeren Besetzungen zuwenden.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

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