Jazz in Stuttgart (3)- Franco Petrocca Interview

Jazz in Stuttgart (3)- Franco Petrocca Interview

© Serkan Tuna, Stuttgart // Franco Petrocca / 2016
© Serkan Tuna, Stuttgart // Franco Petrocca / 2016

Franco Petrocca zählt zu den besten E-Bassisten in Europa. Er kommt aus einer klassischen Musikerfamilie. Auch seine drei Brüder Lorenzo, David und Antonio sind erfolgreiche Jazzmusiker. Franco ist ein gefragter Sideman in der Jazzszene und ist auf unzähligen Aufnahmen zu hören. Außerdem ist er ein sehr netter und sympathischer Mensch.

 

Ich traf ihm am 20 Januar 2017 in der Bar Eumel.

 

http://eumel-stuttgart.de/

 

Franco wollte eigentlich mit Tony Lakatos spielen, doch leider fiel Tony Lakatos wegen einer Grippe aus. Aber wir haben trotzdem ein sehr angenehmes Interview geführt.

 

Mehr Infos zu Franco Petrocca findet ihr hier:

 

https://www.facebook.com/Franco-Petrocca-Official-125712947503805/

 

Hallo Franco, schön dass du für ein Interview für Jazzreporter zur Verfügung stehst. Wie geht es dir heute?

 

Danke mir geht es gut. Es war heute etwas stressig, wegen der Absage von Tony Lakatos. Es ist sehr schade, dass er heute Abend krank ist und nicht spielen kann. Dann musste ich noch meinen Bass neu einstellen.

 

Aber mir geht es insgesamt gut.

 

Du kommst genauso wie deine drei Brüder (David, Lorenzo , Antonio) aus Crotone , das ist eine wunderschöne Stadt am ionischen Meer. Vermisst du diese Stadt heute, besonders im kalten Winter?

 

Nein, ich vermisse die Stadt nicht. Stuttgart ist mittlerweile meine Heimat geworden. Stuttgart hat seinen ganz eigenen Reiz. Ich bin eher ein Wanderer zwischen den Welten. Meine Wurzeln sind natürlich in Crotone, vor allem wenn ich mich erholen möchte. Aber als Musiker führt man ein unbeständiges Leben, daher ist leider nicht immer alles terminlich genau planbar.

 

Als ich einmal auf der Isla Margarita in Venezuela vier Wochen lang spielte hatte ich eine solche Sehnsucht nach Stuttgart, dass ich meine Mutter in Stuttgart anrief. Es war um die Weihnachtszeit. Meine Mutter sagte zu mir, dass ich doch froh sein muss dort zu sein, weil es hier in Stuttgart sehr kalt ist. Das war im Jahr 1997, damals waren die Winter noch kälter als heute.

 

Ich vermisse vielleicht die lockere italienische Lebensart und das Essen

 

Warum seid ihr damals nach Deutschland (Stuttgart) ausgewandert?

 

Das war der klassische Grund wie bei vielen Italienern aus Süditalien-nämlich die Arbeitssuche. Die Italiener sind eh ein Volk der Migranten. Mein Vater war damals Konditor, seine Konditorei  ist aber Pleite gegangen. In den 70er Jahren waren die Zeiten wirtschaftlich sehr schwierig. Ein Freund, der bereits in Deutschland lebte, hat ihm daher empfohlen nach Deutschland zu kommen, weil es in Deutschland Arbeit gab.

 

Mein Vater ist als Erster im Jahr 1978 gekommen und ein Jahr später ist die ganze Familie nachgekommen.

 

Wie bist du zur Musik gekommen? Hat dir der Jazz gleich gefallen?

 

Das war ähnlich wie bei Lorenzo, wir beide haben gleichzeitig angefangen. Lorenzo war ja ein sehr guter Boxer als wir Teenager waren. Ich habe auch viel Sport gemacht, aber nicht so profimäßig wie mein Bruder. Als wir 1982 in Italien Urlaub machten hat mein Cousin Gitarre gespielt. Ich habe mich sofort in die Gitarre verliebt. Ich habe dann gleich nach dem Urlaub eine Gitarre für 50 Euro beim Kaufhof gekauft. Lorenzo hat sich dann auch eine Gitarre gekauft. Ja, so haben wir dann angefangen.

 

Zum Jazz bin ich genauso wie Lorenzo erst später gekommen. Zuerst spielte ich Tanzmusik mit Lorenzo für Tanzabende, sehr oft waren es italienische Lieder bzw. Schlager.

 

Ende der 80er bekam ich eine Platte von Jaco Pastorius und es hat mich umgehauen, vom Plattenhören lernte ich dann autodidaktisch Jazz auf dem E-Bass zu spielen. Noch später knüpfte ich Kontakte zu Jazzmusikern und auch die Kontakte brachten mich voran. Ich wollte einfach so gut spielen wie Sie, auch wenn ich damals natürlich noch nicht soweit war.

 

Der Jazz mag ich sehr gerne weil es viele Einflüsse von anderen Musikarten hat. Es ist eine schöne vielseitige Musik.

 

Welche Musiker haben dich beeinflusst?

 

Da gibt es sehr viele Musiker im E-Bass Bereich: Jaco Pastorius, Marcus Miller, Tom Kennedy und auch neue aktuelle Künstler.

 

Darüber hinaus auch Musiker wie Bill Evans, Herbie Hancock, Chick Corea, Joe Lovano, Brecker Brother, Joe Pass, Pat Metheny, George Benson

 

Ich habe sehr viele Einflüsse

 

Der 6 saitige E-Bass ist wohl dein Hauptinstrument. Was macht den Reiz dieses Instrumentes für dich aus?

 

Das Fundament des Basses mit den tiefen Tönen, gleichzeitig klingt es beim Solo ähnlich wie eine Gitarre. Mir gefällt besonders das groovige Bassfundament, welches das Instrument für die Solisten bietet.

 

Bass und Schlagzeug ist für mich wie die Küche in der Musik. Wenn die Küche gut funktioniert, dann können die Solisten auch vorne gut essen.

 

Ich spiele in erste Linie als Begleiter. Aber als Solist spiele ich auch gerne, aber es ist kein Muss. Ich möchte in erste Linie dass sich meine Mitmusiker wohlfühlen mit meinem Groove.

 

Welche anderen Instrumente spielst du noch?

 

Ich spiele noch die klassische Gitarre, mit der ich schon mit Lorenzo gespielt habe.

 

Der große Bruder Lorenzo hatte natürlich immer mehr zu sagen, also sagte er mir eines Tages, dass ich einen E-Bass spielten sollte. Ich wusste zuerst gar nicht, was ein E-Bass ist. Aber ich muss mich eigentlich bei Lorenzo dafür bedanken, weil er mich in diese Richtung gebracht hat.

 

Bei deinen Aufnahmen ist mir aufgefallen, dass dir die brasilianische Musik besonders gut gefällt. Spielt diese lateinamerikanische Musik eine besondere Rolle für dich?

 

Ich mag die brasilianische Musik, daher knüpfte ich vor 20 Jahren Kontakt zu brasilianischen Musikern. Diese Musik hat mich total fasziniert.

 

Ich bin aber kein Spezialist für lateinamerikanische Musik, ich spiele gerne alles von Funk, Mainstream Jazz bis Weltmusik. E-Bass ist natürlich in erster Linie ein modernes Instrument, aber auch bei Mainstream-Jazz Konzerten spiele ich auch ab und zu E-Bass.

 

Wie war deine Zusammenarbeit mit der Legende Gilberto Gil?

 

Gilberto Gil hat mit mir spontan ein halbes Set gespielt. Er spielte mit unserer Band. Er ist eine Legende, aber gleichzeitig ein ganz lockerer und bodenständiger Typ. Er ist ein sehr vielseitiger Musiker. Einer der besten Musiker in Brasilien. Tolle Erfahrung!

 

In diesen Zusammenhang bist du auch oft mit Ulla Haessen unterwegs-wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

 

Das war auch über Lorenzo! Er hat mich ihr empfohlen. Die Ulla ist sehr nett und freundlich, nach dem ersten Kontakt über Facebook hat alles wunderbar geklappt. Ich habe dann Studioaufnahmen mit ihr gemacht, danach kamen schon die ersten Konzerte.

 

Wir spielen gerne mit Duo oder Quartett. Jetzt hat sie vor Lorenzo und mich zusammen zu buchen.

 

Du bist hauptsächlich im Stuttgarter Raum musikalisch tätig. Ist die Stadt Stuttgart für dich wirklich eine Jazzstadt?

 

Ja,eigentlich kann man das so nicht sagen, denn ich spiele überall Konzerte. Das ich jetzt aktuell öfters in Stuttgart spiele ist eher Zufall.

 

Ja, Stuttgart tut viel für den Jazz. Wir haben vier Clubs (Eumel, Bix, Jazzhall, Kiste) mit viel Live-Jazz. Vielleicht gibt es noch andere Clubs, die wir noch nicht kennen wo ebenfalls Jazz gespielt wird.

 

Vergleicht man es z.B. mit größeren Städten wie München, dann ist die Lage sehr gut. In München gibt es eigentlich nur einen richtigen Jazzclub „Unterfahrt“. Im Bayrischen Hof werden nur ausgewählte Konzerte gespielt.

 

Also insgesamt ist die Situation für die Musiker in Stuttgart sehr gut.

 

Ich kenne von dir die CD „una nuova vita“ wo du sehr melodiöse und gefühlvolle Stücke spielst. Was sind deine Erinnerungen daran?

 

Ja, die CD ist eigentlich eine Demo-CD gewesen, wir haben alles live aufgenommen. Es war für eine offizielle Veröffentlichung auf CD nicht geplant. Julius Pischl hat es so gut gefallen, dass wir am nächsten Abend nochmal spielten und daraus die CD machten. Das Trio mit Sebastian Mutz (Piano) und Antoine Fillon (Drums) war sehr gut eingespielt. Es hat einfach alles gut zusammen gepasst, wir waren sehr gut drauf und hatten richtig Lust zu spielen.

 

Deine erste CD Quartiere Latino ist leider vergriffen und begehrt. Besteht die Möglichkeit das Album wieder zu veröffentlichen?

 

Ja, ich möchte vielleicht die CD in einer kleineren Auflage von 500-1000 Stück wieder veröffentlichen. Ich habe das Masterband bei mir zu Hause. Ich stehe dazu mit den Hansa-Studios (Anmerkung JP: Sitz Bonn) im Austausch. Ich möchte mich mit ihm austauschen ob es sich überhaupt lohnt eine neue Auflage zu machen.

 

Natürlich will ich die CD dann auf meinen Konzerten verkaufen. Leider vergesse ich oft die CDs mitzunehmen, am besten lasse ich die CDs immer im Auto liegen.

 

Ein besonders Highlight deiner Plattenkarriere war sicher die CD „In Italy“ mit deinem Bruder Lorenzo. Was sind deine Erinnerungen an dieses Projekt?

 

Wir waren gut eingespielt und haben gemeinsam die Arrangements gemacht. Dalmá Lima kannte ich schon vorher von meinen brasilianischen Kontakten und habe ihm mitgebracht.

 

Damals haben wir im Theaterhaus gespielt, aber wie das Leben ist, gingen die Wege dann auseinander.

 

Das Foto für das CD-Cover schoss der Schwiegervater von Lorenzo vor dem Schloss Solitude. Damals hatten wir noch schwarze Haare, heute haben wir nur noch graue Haare. Ja, aber das ist wohl der Lauf der Zeit.

 

Es war eine gute Mischung von eigenen Stücken und Klassikern wie „O Sole Mio“, wie der Name der CD schon sagt wollten wir es sehr italienisch klingen lassen. Lorenzo und ich haben damals sehr viel an den Arrangements gearbeitet.

 

Warum hast du seitdem keine CDs mehr als Leader gemacht?

 

Ich war mit vielen anderen Dingen beschäftigt, so war ich z.B. als Sideman mit Erkan Cinar aktiv. Eigene Projekte als Leader habe ich daher etwas vernachlässigt. Ich spielte in verschiedenen Bands, als Sidemann mit verschiedenen Musikern.

 

Auch unterschiedliche Musikstille von Funk bis Weltmusik wollte ich kennenlernen.

 

In Zukunft möchte ich wieder gerne eine neue CD als Leader machen. Aber es gibt schon eine Geheim-CD von mir, auf dieser CD spiele ich nur Solo-Gitarre. Ich habe es bisher noch nicht veröffentlicht. Ich werde vielleicht die Stücke veröffentlichen und mit anderen Stücken kombinieren.

 

Du bist gerade mit Tony Lakatos unterwegs. Wie lange kennst du Tony Lakatos?

 

Tony kenne ich seit vielen Jahren, wir haben immer mal wieder gespielt. In der Band von Nice Brazil (Anmerkung JP:CD-Veröffentlichung 2011) spielte ich oft mit Tony. Der Kontakt hat sich dann vertieft. Wir spielen in letzter Zeit häufiger zusammen als früher.

 

Tony Lakatos ist als Tenorsaxophonist ein Weltstar im  Jazz. Es ist eine große Ehre für mich mit ihm zu spielen.

 

Im Jahr 2014 warst du auch mit deinen Brüdern unterwegs. Genießt du es mit deinen Brüdern Jazz zu machen?

 

Ja, das Konzert im Theaterhaus hat mir Spaß gemacht. Wir haben erst mit eigenen Bands gespielt und am Ende spielten wir zusammen.

 

In Zukunft ist es nicht geplant wieder gemeinsam zu spielen, weil jeder seine eigene Gruppe hat. Jeder hat seine eigenen musikalischen Präferenzen, daher ist es schwierig es miteinander im Einklang zu bringen. Auch terminliche Gründe machen es immer schwierig zusammen zuspielen. Auch das Musikprogramm festzulegen ist nicht ganz einfach.

 

Aber blockweise z.B. ich und Lorenzo oder David mit Lorenzo wird es sicher mal wieder geben. Die treibende Kraft dabei ist mein Bruder Lorenzo.

 

Du hast auch beim Jazzfestival Jazzopen gespielt. Was denkst du über dieses Jazzfestival?

 

Es ist ein sehr schönes Festival. Ich habe dort 2002 gespielt. Früher war es noch mehr jazziger als heute und nicht so viel Pop und Rock. Es ist heute eine Mischung aus allen Musikstilen, aber die Zeiten haben sich auch geändert. Aber das Festival finde ich sehr schön.

 

Nimmst du gerne im Studio auf und spielst du lieber live?

 

Ich liebe es live zu spielen, besonders der Kontakt mit dem Publikum. Bei jedem Auftritt gibt es eine Überraschung

 

Welche Musik hörst du bei dir daheim?

 

Ich muss dich enttäuschen, denn ich höre gar keine Musik daheim. In meinen Kopf läufst ständig eine CD ab, daher höre ich keine Musik. Im Auto höre ich schon Musik, hier querbeet alles von Klassik bis Rock. Ich wechsele auch oft den Radiosender, vor allem bei langen Autofahrten.

 

Unterrichtest du auch?

 

Ja, bei mir kann man E-Bass und klassische Gitarre lernen. Ich unterrichte in zwei Musikvereinen mit insgesamt 30 Schülern. Es sind vor allem Kinder, momentan habe ich nur wenige Schüler im E-Bass Bereich.

 

Was sind deine nächsten musikalischen Projekte?

 

Ich möchte mehr mit meinem Trio auftreten. Dann mit Erkan Cinar als Duo oder mit größer Besetzung. Das geht dann in die Richtung Weltmusik .Auch mit vielen anderen Leuten wie Tony Lakatos will ich auch sehr gerne spielen.

 

Danke dir Franco für das Interview

 

Danke Alex es hat mir sehr viel Spaß gemacht.

© Gabriele Schilgen, Stuttgart // Franco Petrocca / 2014
© Gabriele Schilgen, Stuttgart // Franco Petrocca / 2014
© Berit Erlbacher, Stuttgart // Franco Petrocca / 2014
© Berit Erlbacher, Stuttgart // Franco Petrocca / 2014

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Kommentare: 2
  • #1

    Dorothee Freund (Montag, 30 Januar 2017 12:12)

    Lieber Aleksej, wieder einmal hast Du sehr interessante Fragen gestellt, so dass man einen guten Einblick in das musikalische Leben von Franco Petrocca bekam.
    Franco kenne ich auch schon einige Jahre und ich kann bestätigen, dass er ein sehr sympatischer Mann und ein ausgezeichneter Musiker ist!
    Es macht Spaß Deine Interviews zu lesen...weiter so!

  • #2

    Armin Fischer (Montag, 21 August 2017 15:46)

    Lieber Alexis, schön, daß du dir für deine Gesprächspartner so kenntnisreich und lange Zeit nimmst. Franco hatte ich mit der brasilianischen Gruppe Yanomani 1990 gebucht. Ein toller Musiker und ein ganz Netter.